Die Mercedes V-Klasse im Hardcore-Familientest

Die Mercedes V-Klasse im Hardcore-Familientest

Kurz Vorab: Unser privates Auto ist 13 Jahre alt, hat fast 300 000 Kilometer auf der Uhr, eine kaputte Klimaanlage und so gut wie keine Ausstattung. Nun befinden wir uns in der außerordentlichen Luxussituation, dass wir einen Pressewagen eines Automobilherstellers testen dürfen, um euch dann an unseren Erfahrungen und Eindrücken teilhaben lassen zu können. Für unseren Frankreich-Urlaub ist es dieses Mal eine V-Klasse von Mercedes-Benz geworden. Lest hier also, warum gerade dieses Auto und wie unser Fazit nach über 4000 km in dem Auto ausgefallen ist.

Vor ein paar Jahren –  ich saß gerade in einem Wartezimmer bei irgendeinem Arzt – habe ich in einer Autozeitschrift einen Bericht von Jörg Pilawa gelesen. Wie ihr vielleicht wisst, hat dieser Mensch 4 Kinder und viel Kohle. Und was für ein Auto legt man sich als sechsköpfige Familie zu?
Einen Bus wahrscheinlich. Jörg Pilawa hat sich demnach also damit auseinandergesetzt, was der Markt so zu bieten hat und so landete er irgendwie bei Mercedes-Benz. Denn dort wurde gerade die neue V-Klasse, also der Nachfolger des Viano präsentiert.

Lange Rede – kurzer Sinn: Er kam nach einem zweiwöchigen Test zu dem Ergebnis, dass das das mit Abstand beste größere Familienauto sei, was man finden kann. Größtes Manko bei ihm: Der Preis.

Jedenfalls guck ich seitdem immer wieder neidisch auf dieses Auto, weil es mich irre neugierig gemacht hat, was der Jörg da gesagt hat und somit haben wir bei Daimler angefragt, ob wir dieses Auto einmal testen können. Wie ihr es von uns gewohnt seid, gibt es kein Video 3 Minuten nach dem Auspacken. Nein! Ich schreibe den Text hier nach dem ich mehr als 3900 km mit einer V-Klasse durch Deutschland und Frankreich. Ich werde versuchen die verschiedenen Eindrücke so gut es geht systematisch abzuarbeiten, damit ihr euch einen guten Eindruck verschaffen könnt.

 

Außen:

Als das Auto vor unserer Tür stand war das schon geil. Ich habe richtig gespürt, wie die Blicke unserer Nachbarn (die gucken immer. Egal was wir machen.) zwischen uns und dem Auto wechselten und sie sich innerlich schon das Maul darüber zerrissen haben, was wir da wieder machen.

Mal ehrlich, der sieht doch schon genial aus. Wir hatten die Variante als V 220 d – also einen eher kleinen Dieselmotor mit „nur“ 162 PS – die dennoch für ein Familienwagen völlig ausreichend sind. Unser Testfahrzeug war eines aus der EDITION-Reihe, was heißt, dass man sich zu seinem Grundfahrzeug seine individuelle Zusatzausstattung zusammenstellen kann. Alles, was ihr hier lest, ist also nicht Bestandteil einer speziellen Ausstattungslinie wie etwa Avantgarde, sondern ist immer extra zubuchbar oder kann weggelassen werden.

Da stand sie nun also: In bergkristall weiß metallic, Breitreifen und schicken großen Alufelgen. Was mir sofort positiv aufgefallen ist, war die separat zu öffnende Heckscheibe, die in diesem Segment einzigartig ist.

Separat zu öffnende Heckscheibe der V-Klasse

Ich kenne die Heckscheiben von anderen Fahrzeugen und weiß um deren hohen Nutzwert. In der Edition-Linie sollte auf dieses Extra definitiv nicht verzichtet werden, da es den Alltag ungemein erleichtert. Sie geht in jeder noch so zugeparkten französischen Parklücke zu öffnen und ist mega praktisch, wenn man nur mal schnell was im Supermarkt eingekauft hat und nicht die riesige, schwere Heckklappe zu öffnen brauch. Hier wird auch der Mehrwert des zweigeteilten Kofferraumes sichtbar, da auf der oberen Etage problemlos und schnell Einkäufe verstaut werden können. Für uns definitiv ein Must-Have bei diesem Auto.

Auf den zweiten Blick habe ich dankbar registriert, dass das Auto mit LED-Scheinwerfern ausgestattet ist, welche gerade bei Nachtfahrten, wie wir sie hinter uns gebracht haben, echt angenehm sind. Sie leuchten Fahrbahn und Straßenrand sehr gut aus und das Kurvenlicht sorgt dafür, dass man auch im kurvigen Südfrankreich immer gute Sicht hat. Auch das kann ich jedem ans Herz legen.

Was ich leider nicht finden konnte, waren die zahlreichen Kameras, die in anderen V-Klassen den Bird-View ermöglichen, also die Sicht auf das Fahrzeug aus der Vogelperspektive. Dazu aber später mehr.

Wir hatten ein Modell mit zwei Schiebetüren, welche jedoch beide nur manuell geöffnet werden konnten. Elektrische Türen sind  schöner aber auch anfälliger und für mich kein Must-Have, sondern eher nettes Add-On. Bei Heckklappen bin ich normalerweise eher Gegner von elektrischen Antrieben, da auch hier eher Defekte auftreten. Bei der mächtigen Heckklappe der V-Klasse wäre es aber definitiv angenehmer mit Antrieb – besonders für kleine und leichte Menschen.

Große Heckklappe und Schiebetüren

Extrem positiv fiel auf, dass das Auto auch nach längerem Herumstehen in der wirklich heißen Mittelmeersonne nicht wie ein Backofen aufgeheizt war. Auch beschwerten sich die Kinder kaum, weil Sie von der Sonne geblendet wurden. Das lag an dem hier verwendeten Wärmedämmenden Glas, welches rundherum verbaut ist.

Fazit außen: Die V-Klasse überzeugt hier mit elegantem – fast sportlichem Design und wirkt unheimlich bullig, ohne dabei wie ein Lieferwagen daher zu kommen. Die Gratwanderung hat Mercedes wirklich gut hinbekommen.

 

Fond:

Unser Testwagen war nicht üppig, aber ausreichend mit Sonderausstattungen bestückt. Im Innenraum stehen nüchterne, aber strapazierfähige Stoffsitze zur  Verfügung. Bis zu 7 Leute haben in der mittleren Version, die bei Mercedes „Lang“ heißt ausreichend Platz. Dabei besticht im Prinzip der ganze Fond mit Variabilität da der gesamte hintere Innenraum jeder Situation individuell angepasst werden kann.

 

Bei diesem Modell war ein Liegepaket enthalten, was bedeutet, dass die hintere Sitzbank mit wenigen Handgriffen zu einem Schlafplatz umfunktioniert werden kann.  Die Anleitungen für sämtliche Umbaumaßnahmen und alles andere findet sich übrigens in gut erklärten Schritt-für-Schritt Anleitungen im Multimediasystem wieder.

 

Je nach Insassen-Anzahl und Art der Reise können die mittleren zwei Sitze in Fahrtrichtung, entgegen der Fahrtrichtung montiert oder ganz weggelassen werden. Ebenso kann die Rückbank dank des Schienensystems verschoben oder vollständig ausgebaut werden.

Wir hatten unsere beiden Reboarder auf die mittleren Sitze montiert, wobei die mittleren Sitze in Fahrtrichtung ausgerichtet waren. Die Kinder schauten also rückwärts und sahen durch die riesigen Seitenscheiben. Manko hier ist, dass die Easy-Entry-Funktion nicht verwendet werden kann, da die Reboarder fest mit Spanngurten verbaut sind. Somit passen nur schmale Menschen an den mittleren Sitzen vorbei auf die Rückbank.

Apropos Seitenscheiben: Alle Fenster sind wärmedämmend, was bedeutet, dass das Auto wesentlich weniger heiß ist, als ein normales Fahrzeug. Selbst nach einem Tag am Strand in der heißen Cote D’Azur war es wirklich sehr angenehm – alle Sitze konnten sofort besetzt werden. Unser Auto gleicht bereits nach kurzer Zeit einem Backofen. Auch hier: Empfehlung! Besonders für Familien oder Tierhalter.

 

Eine weitere Möglichkeit, die wir nach unserer Rückkehr nach Deutschland ausprobierten, war die Folgende:

Wir drehten die mittleren Sitze um und montierten vorwärtsgerichtete Sitze darauf, so dass die Kinder in vorwärtsgerichteten Kindersitzen trotzdem hinten raus schauten und so in einer Art Pseudo-Reboarder saßen. Auf diese Weise konnte sich einer von uns auf die letzte Reihe setzen und sich mit den Kindern beschäftigen. Oder – im Falle von noch mehr Kindern: Alle Kinder können stammtischmäßig miteinander kommunizieren und/oder spielen. Im Nachhinein betrachtet eine bessere Variante, da so die hintere Sitzbank deutlich besser nutzbar ist.

Noch eine weitere Variante wäre gewesen, die mittleren Sitze ganz zu Hause zu lassen und die hintere Sitzbank vorzuziehen. Damit hätten wir einen gigantischen Kofferraum zur Verfügung gehabt.

Allerdings hätten wir dann nicht unsere Ausflüge  mit 7 Personen machen können. Wir waren nämlich einmal sogar mit 4 Kindern und 3 Erwachsenen unterwegs. Das geht nicht mit jedem Auto – mit der V-Klasse jedoch problemlos.

Cockpit:

Das Cockpit mutet sehr schlicht und hochwertig an. Die Bedienelemente sind gut erkennbar und das Armaturenbrett ist sehr aufgeräumt. Mir persönlich fiel es nicht schwer mich zurecht zu finden, obwohl ich wirklich selten Mercedes-Benz-Fahrzeuge fahre. Ein Wahlhebel für das 7-Gang-Automatik-Getriebe ist nicht in der Mittelkonsole zu finden, sondern direkt rechts am Lenkrad. Da wo bei anderen Herstellern üblicherweise ein Wahlhebel zu finden ist, wurde in der V-Klasse das Bedienrad des COMMAND-Infotainment-System platziert. Dieses, ergänzt um das Touchscreen, erlaubt es dem Fahrer einhändig und intuitiv sämtliche Funktionen dieses Systems zu verwenden. Ist man andere Systeme gewohnt, muss man sich manchmal erst reinfuchsen, wie man am schnellsten in die Zeile der Anzeige gelangt, in die man möchte.

 

Neben dem Bedienrad gibt es einen kleinen Schalter, über den man schnell und unkompliziert den Fahrmodus wählen kann. Comfort, Sport, Eco oder Manuell sind hier möglich. Der Wechsel zwischen den Modi wird damit wirklich erleichtert. Wir fuhren größtenteils im Eco-Modus, wechselten vor Kreisverkehren oder Autobahnauffahrten aber gern in den Sportmodus, da man in diesen Situationen doch schnell reagieren können muss. Und das kann die Automatik definitiv. Genauso wie komfortables, butterweiches Cruisen. Dickes Lob für dieses kleine aber feine Gadget!

Dadurch das der Gangwahlhebel am Lenkrad ist, sind sämtliche Funktionen, die man am Lenkrad oft mit zwei Hebeln tätigt nun auf einem (an der linken Seite) vereinigt. Auch hier muss man erst schauen, wo man drücken, ziehen oder schieben muss, bis man den richtigen Scheibenwischer in Bewegung gesetzt hat. Glücklicherweise nehmen Regensensor und Abblendautomatik dem Fahrer einiges ab. Leider habe ich aber den Eindruck, dass letztere nicht schnell genug reagiert. Eigentlich ist das nämlich eine wirklich tolle Sache, aber einige LKW auf der Gegenfahrbahn signalisierten mir, dass ich abblenden soll, während die Automatik erst 2-3 Sekunden später reagierte.

Wo wir einmal bei den Assistenten sind: Der Totwinkelassistent ist für mich ein absolutes Must-Have. Bei Fahrzeugen dieser Größe und noch dazu im teilweise hektischen (französischen) Stadtverkehr ist dieser Gold wert. Dabei leuchtet im äußeren Eck des Außenspiegels ein kleines rotes Dreieck auf. Zieht man trotzdem rüber oder setzt den Blinker, so vibriert das Lenkrad und gibt einen akustischen Warnton.

Hingegen ist der Spurhalteassitent ein wenig zu passiv für meinen Geschmack. Dieser greift nicht ein, wenn man die Spur wechselt ohne zu blinken oder schlimmstenfalls eingeschlafen ist, sondern das Lenkrad vibriert nur drei mal. Besonders auf engeren Straßen, wo man mit einem Auto wie der V-Klasse ab und an mal über die Mittellinie kommt, nervt das vibrieren mehr, als wenn der Assistent dezent eingreifen und gegensteuern würde.

Der Müdigkeitsassistent wie auch der Abstandsassistent ist ganz nett, aber meiner Meinung nach nicht unbedingt notwendig.

 

Meckern muss ich ein wenig an der Parc-Distance-Control. Hinten funktioniert diese in Kombination mit der Rückfahrkamera absolut tadellos. Leider wird mir auf dem großen Display nicht das Fahrzeug in einer Draufsicht-Darstellung angezeigt, so dass ich ganz übersichtlich sehen kann, wie viel Platz ich noch vorn/hinten oder an den Seiten habe. Wie viel Platz ich nach vorn habe, sehe ich lediglich an den kleinen bunten Lämpchen ganz oben in der Multi-Funktions-Anzeige, welche zentral im Kombiinstrument verbaut ist. Wenn ich dann aber das Lenkrad eingeschlagen habe, sehe ich die Lampen nicht mehr und muss irgendwie zwischen den Speichen hindurch schauen.

 

Das ist etwas umständlich und würde mich dazu bringen, den teureren Park-Assistenten zu kaufen. Dabei wird mir das Fahrzeug im Bird-View angezeigt. Der Blick aus der Vogelperspektive ist bei diesem Auto sehr vorteilhaft, da Parklücken so gut wie immer eng sind bei diesen Ausmaßen.

Das Multifunktionslederlenkrad ist von der Verarbeitung her bombig und liegt toll in der Hand. Etwas unnötig finde ich, dass es extra Knöpfe gibt für das Annehmen UND das Auflegen eines Anrufes. Aber das ist nur ein wirklich kleiner Verbesserungsvorschlag meinerseits.

Größtes Manko im Cockpit sind für uns die wenigen Ablagemöglichkeiten gewesen. Außer dem Handschuhfach und den Türfächern gibt es nur ein Fach ganz am Fuß in der Mitte der Mittelkonsole. Gänzlich fehlt ein Getränkehalter – was für uns Kaffeejunkies für schlechte Laune sorgte.

 

FAZIT ZUR MERCEDES-BENZ V-KLASSE:

Die V-Klasse ist ein Fahrzeug eines Premiumherstellers – das darf man nie vergessen. Dementsprechend ist der Grundpreis unseres Fahrzeuges mit 39.710 € objektiv betrachtet hoch. Mit all unseren Zusatzausstattungen kostet das Fahrzeug, so wie wir es haben durften, ca. 57.500 € und dabei sind noch lange nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft.

Für dieses Geld gibt es aber viel und gutes Auto. Ab drei Kindern denkt glaub ich jeder mal kurz über die Anschaffung eines Kleinbusses nach. Der größte Vorteil der V-Klasse ist, dass es zwar ein Kleinbus ist, aber nicht danach aussieht. Wer also Wert darauf legt, ein Auto zu fahren, was nicht allzu sehr nach Pampersbomber aussieht aber trotzdem für alle eventuellen Herausforderungen bereit ist, der tut gut daran, sich dieses Auto mal anzuschauen. Ein großartiges Raumgefühl, extrem viel Platz im Kofferraum, super Verarbeitung und schönes Design treffen auf Variabilität und Luxus. Der Testverbrauch lag bei uns übrigens bei 8,7 Litern. Wir fuhren Stadtverkehr, Bergstraßen, schnelle Autobahnen, langsame Autobahnen, Landstraßen und Feldwege. Damit war ich persönlich zufrieden und positiv überrascht, da das Auto immerhin ein Leergewicht von mehr als 2 Tonnen hat.

Familientest eindeutig bestanden!  Vielen Dank an die Daimler AG für die unkomplizierte und nette Zusammenarbeit.

– Franz –


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